Forschung der Juniorprofessur für Philosophie
J-Prof. Dr. Silvia Jonas: Forschungsschwerpunkte
Die Vorstellung, die Mathematik enthalte den Schlüssel zum Verst?ndnis der fundamentalen Strukturen der Realit?t, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Philosophie. Platon betrachtete die Mathematik als h?chste Form des Wissens, Galilei vertrat die Auffassung, Mathematik sei die "Sprache des Buches der Natur", Kant argumentierte, dass uns erst die Mathematik ein Verst?ndnis von Metaphysik erm?gliche, und Cantor meinte sogar, in den transfiniten Zahlen Gott erkennen zu k?nnen.
Auch in aktuellen philosophischen Debatten spielen strukturelle Parallelen zwischen der Mathematik und anderen meta-empirischen Bereichen eine zentrale Rolle. So wird z.B. darüber debattiert, ob sich der epistemische Status des moralischen, modalen oder theistischen Realismus von dem des mathematischen Realismus unterscheidet, ob es m?glich ist für die Existenz moralischer Entit?ten auf die gleiche Weise zu argumentieren wie für die Existenz mathematischer Entit?ten, und ob evolutionsbiologische "Debunking"-Argumente gegen die Objektivit?t von Ethik, Logik oder Modalit?t unter Bezugnahme auf die Mathematik widerlegt werden k?nnen.
In meinem Schwerpunkt zu Mathematik und Metaphysik untersuche ich die Potentiale und Grenzen derartiger mathematischer Analogien.
Eng verbunden mit meinem Forschungsschwerpunkt zu mathematischen Analogien ist die Frage nach der M?glichkeit von Realit?t, Objektivit?t und Existenz jenseits des wissenschaftlich Untersuchbaren.
Wenn Naturwissenschaftler:innen über "Realit?t" sprechen, meinen sie die konkreten Bereiche der Wirklichkeit, etwa physische Objekte, deren Eigenschaften, sowie die kontingenten Gesetze, die ihre Interaktionen bestimmen. Philosoph:innen hingegen z?hlen zur Realit?t auch "meta-empirische" Bereiche, d.h. Dom?nen, deren Objekte abstrakt sind, in notwendigen Beziehungen zueinander stehen, und deren Wahrheiten wir a priori erkennen k?nnen. Klassische Beispiele für solche Bereiche sind neben der Mathematik die Ethik, die Metaphysik und, verstanden als philosophischer Grenzfall, der Theismus. Realist:innen hinsichtlich dieser Dom?nen glauben an die Existenz von Zahlen oder Mengen, von Gründen oder Werten, von m?glichen Welten oder Propositionen und von Gott.
Der Glaube an die Existenz solcher nicht-raumzeitlicher—und daher meta-empirischer—Objekte wirft drei grunds?tzliche Fragen auf: (a) Ist eine ontologische Verpflichtung gegenüber meta-empirischen Objekten zu rechtfertigen? (b) Wie erlangen wir Wissen über bzw. epistemischen Zugang zu solchen Objekten? (c) Unterminieren fundamentale Uneinigkeiten den meta-empirischen Realismus?
In meiner Forschung untersuche ich, welche Antworten mathematische Realist:innen auf diese drei Fragen geben k?nnen und inwieweit sich diese auf andere meta-empirische Dom?nen anwenden lassen. Mein Ziel ist hierbei einerseits, durch die Bezugnahme auf die Mathematik neue Argumentationsmodelle zu erschlie?en, und andererseits, inkoh?rente ?berzeugungsmuster aufzudecken.
Im Zentrum dieses Forschungsschwerpunkts steht die Frage, ob es Formen der Erkenntnis gibt, die nicht durch Sprache erfasst werden k?nnen.
Bereits Aristoteles verwies auf die Sprache als Kennzeichen der Sonderstellung des Menschen unter den Tieren und argumentierte für eine enge Verbindung zwischen Erkenntnis und Sprache. Und auch heute ist eine zentrale Pr?misse aller Wissenschaften, dass Wissen sprachlich erfasst und auf diese Weise festgehalten, akkumuliert und weitergegeben werden k?nnen muss.
In meiner Forschung untersuche ich die Frage, ob sich menschliche Erkenntnis tats?chlich in sprachlich fassbarem, also propositionalem Wissen ersch?pft, oder ob es noch weitere, nicht-propositionale Formen der Erkenntnis gibt, z.B. im Kontext von ?sthetischen, religi?sen und philosophischen Erfahrungen.